Seit ich zurück denken kann, bin ich ein Träumer gewesen. Es brauchte nicht viel, um meine Fantasie anzuregen. Ein Blick aus dem Fenster reichte, um mich in Tagträumereien zu verlieren. Schon meine Grundschullehrerin beklagte sich darüber, dass ich mich zu häufig ablenken ließ. Ich schaute in die Wolken, beobachtete die Vögel auf den Zweigen und wartete sehnsüchtig auf die Pausenklingel. Den Weg nach Hause vertrödelte ich, indem ich Papierschiffchen den Bach hinunter treiben ließ und mir wünschte, dass sie das Meer erreichten.

Es gab vieles, was ich mir wünschte. Ein Baumhaus, einen eigenen Herrn Nilsson, ein Pferd und richtige Eltern. Keiner dieser Wünsche wurde erfüllt. Als meine Pflegemutter mich zu sich nahm, war sie so alt, wie eine Großmutter. Sie war streng, wehleidig, oft melancholisch und gottesfürchtig. Ich war nicht das Kind, das sie sich gewünscht hatte. Deshalb setzte sie alles daran, mir meine Flausen aus dem Kopf zu treiben. Weder Stubenarrest, verbale Demütigungen, noch körperliche Gewalt konnten mich daran hindern, mir meine eigene Welt zu schaffen. Was verboten war, tat ich heimlich. Comics und Horrorromane versteckte ich auf dem Dachboden oder im Keller. Anstatt zur Chorprobe zu gehen, kaufte ich mir eine Kinokarte und berauschte mich an Godzilla und den Hammer Horrorfilmen. Wenn ich gefragt wurde, was ich mir zu Weihnachten oder zum Geburtstag wünschte, lautete meine Antwort immer: "Bücher." James Krüss, Max Kruse, Astrid Lindgren, Michael Ende, Mark Twain, Enid Blyton, Ottfried Preussler, Edgar Wallace, Tove Jansson, Hans Christian Andersen, Wilhelm Hauff, Jules Vernes - ich las alles, was mir in die Finger kam.

Mit acht schrieb ich meine erste Kurzgeschichte. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass es um einen Jäger, seinen Hund und einen verloren gegangenen Hut ging. Drei Jahre später versuchte ich mich an einem Roman.Über die ersten 30 Seiten kam ich nicht hinaus. Mir mangelte es nicht an Ehrgeiz, sondern an Ideen. Vielleicht lag es auch daran, dass sich meine Zukunftspläne alle paar Monate änderten. Mal wollte ich Tierpfleger, mal Missionar, mal Pfarrer, mal "Kindergärtner" werden. Kaum in der Pubertät angelangt, gab es nur noch ein Berufsziel: Schauspieler. Tatsächlich reichte mein Talent für zwei kleinere Rollen in unserem Stadttheater in Celle und für Hauptrollen in Schulproduktionen. Selbst als sich meine Hormone wieder etwas beruhigt hatten, stand ich immer mal wieder auf Bühnen und vor Kameras.

   

Erst mit 29, nach zwei abgebrochenen Studiengängen, nach Jobs am Fließband, in der Altenpflege und im Supermarkt, besann ich mich auf das, was meine erste Leidenschaft gewesen war: das Schreiben.

Manchmal verpasst uns das Schicksal Schläge, die uns entweder ins Koma befördern oder uns aufwecken. Innerhalb eines Jahres starben vier meiner engsten Freunde - drei von ihnen an Aids, einer an einem Herzinfarkt. In dieser Zeit großer Einsamkeit und kaum erträglicher Trauer begriff ich, wie kostbar unser Leben ist und wie wenig Sinn wir ihm verleihen, wenn wir das, was uns wirklich am Herzen liegt, auf später verschieben. Uns bleibt immer nur der Moment, um glücklich zu sein. Für das Später gibt es keine Garantie.

Mit dieser Erkenntnis setzte ich mich an den Schreibtisch und schrieb Santa Adele, meinen ersten Roman.

   

 

ATLANTIKAS NACHTLIED

(Aus meinem Kindermusical ATLANTIKA)

 

Alles schläft und schwimmt durchs Traumland

Jeder träumt den selben Traum

Dass die Wünsche Wahrheit werden

Unbegrenzt von Zeit und Raum

 

Großer Traumfisch, sing mir Lieder

Sing das Lied der Nachtigall

Deren Federn nach dem Regen

Wärme spür'n vom Sonnenstrahl

 

Sing von Bergen und von Tälern

Nimm mich mit, ich bin bereit

Mit dir in das Land zu schwimmen

Wo es auch im Sommer schneit

 

Großer Traumfisch, deine Lieder

Sind wie Quallen aus Papier

Sind im Wasser schnell zerfallen

Schon am Morgen nicht mehr hier

 

Nur an ganz besond'ren Tagen

Bleibt ein Lied von dir zurück

Ich erwache und ich singe

Von Kaninchen und vom Glück

 

Großer Traumfisch, sing ein Nachtlied

Singe es und denk daran:

Weck mich sanft, indem du flüsterst

Dass ich mich erinnern kann